Priester und Predigt
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(Übersetzung des französischen Originalartikels von P. Jérôme Bücker FSSP)
Der Heilige Pfarrer von Ars als Verkünder der Wahrheit
Als der Erzbischof von Lyon den Priester Johannes-Maria Vianney im Februar 1818 zum Pfarrer der Gemeinde in Ars ernennt, warnte er den Geistlichen vor der schwierigen Aufgabe, die ihn erwarten würde: „Diese Pfarrei ist arm an Gottesliebe; Sie werden sie ihr bringen.” Die wunden Punkte des Ortes waren, so schreibt ein Biograph, ausschweifende Tanz- und Kabarettveranstaltungen, Sonntagsarbeit, Vernachlässigung der religiösen Praxis und vor allem eine weitreichende Unkenntnis über religiöse Dinge [1].
Die Belehrung der Gläubigen – eine heilige Aufgabe des Priesters
Der heilige Pfarrer war sich bewusst, wie wichtig es war, dass er die Gläubigen seiner Pfarrei belehrte. Es bestand für ihn kein Zweifel, dass die Verkündigung bei seinen Verpflichtungen an erster Stelle stehen musste [2]. Sie stand im Zentrum seines ganzen pastoralen Wirkens, wie kürzlich auch der Präfekt der Kleruskongregation, Kardinal Claudio Hummes festgehalten hat: „Die Bewohner von Ars waren erstaunt, mit welchem Eifer sich ihr neuer Pfarrer um den Dienst am Wort kümmerte, indem er seine Pfarrkinder ausgiebig unterwies. Er gab den Kindern Katechismusunterricht, und selbst, als er sich später diese Aufgabe mit seinem Vikar teilen konnte, ließ er es sich nicht nehmen, weiterhin täglich seinen berühmten ‚Elf-Uhr-Katechismus‛ in der Schule ‚Providence‛ zu erteilen, an dem auch die Eltern teilnehmen konnten. Es sei auch an seine Predigten erinnert, an die zahllosen Besuche bei den Familien, seine ständigen Begegnungen, seine geistlichen Zusprüche in der Beichte, die ihm ganz besonders die Möglichkeit gaben, von seinem Lieblingsthema zu sprechen: der Gottesliebe. Wie sehr der Pfarrer von Ars um die Dringlichkeit des Predigtdienstes wusste, zeigt sich auch darin, dass er sich auch noch an den Missionen der Nachbarpfarreien beteiligte.” [3]
Zu Lebzeiten des Pfarrers von Ars war der Unterricht der Gläubigen besonders notwendig, hatte doch die Französische Revolution eine vollkommen entchristlichte Gesellschaft hinterlassen: Der Kult der „Göttin der Vernunft” hatte die wahre Gottesverehrung verdrängt. In dieser Hinsicht stehen wir heute vor den gleichen Herausforderungen wie der Heilige. Am 5. August des letzten Jahres erklärte Papst Benedikt XVI. während der Generalaudienz in Castel Gandolfo: „Wenn es damals die Diktatur des Rationalismus gab, so lässt sich in der heutigen Zeit in vielen Bereichen eine Art Diktatur des Relativismus verzeichnen. Beide sind keine geeignete Antwort auf den berechtigten Wunsch des Menschen, seine Vernunft in vollem Maße einzusetzen als charakteristisches und formendes Element seiner eigenen Identität. (…) Ebenso wie damals ist der Mensch, der nach Sinn und Erfüllung fleht auch heute ständig auf der Suche nach erschöpfenden Antworten auf die grundlegenden Fragen, die er sich unablässig stellt.” Es ist die Aufgabe des Priesters, so Papst Benedikt, als „Verkünder des Glaubens” diesen Durst nach Sinn und Erfüllung zu stillen. Der hl. Pfarrer von Ars hat sich auf unermüdliche Weise diesem Dienst gewidmet.
„Man sagte vom hl. Johannes Maria Vianney”, so der selige Papst Johannes XXIII., „er sei allzeit bereit, den Bedürfnissen der Seelen zu dienen. Als guter Hirt war er auch darin vorbildlich, dass er seinen Schutzbefohlenen die Nahrung der christlichen Wahrheit in reicher Fülle darbot. Tatsächlich hat er sein Leben lang als Prediger und Katechet gewirkt. Um dieser Aufgabe gewachsen zu sein, die das Konzil von Trient als erste und größte Pflicht bezeichnet, hat er bekanntlich schwer und unverdrossen gearbeitet. Schon die Studien, die er in vorgerückten Jahren aufnahm, bereiteten ihm viel Mühe. Und die ersten Predigten kosteten ihn gar manche durchwachte Nacht. Welch ein Beispiel für die Verkünder des Gotteswortes! Es wäre sehr zu wünschen, dass die Seelsorger so viel Fleiß darauf verwendeten wie der Pfarrer von Ars! Er hat sich bemüht, die Schwierigkeiten des Studiums zu meistern, sein Gedächtnis zu stärken und vor allem die Wissenschaft des Kreuzes zu erwerben, das ja unter allen Büchern das wichtigste ist. Sein Bischof sagte einmal von ihm zu einigen Lästermäulern: Ich weiß nicht, ob er gebildet ist. Jedenfalls ist er von Gott erleuchtet.“ [4]
Mit vollem Recht hat daher Papst Pius XII. nicht gezögert, den Predigern in Rom diesen schlichten Landpfarrer als Vorbild zu empfehlen: „Der hl. Pfarrer von Ars besaß zwar nicht die angeborene Rednergabe eines Segneri oder eines Bossuet. Aber seine lebendige, klare und tiefe Überzeugung, die in seinen Worten mitschwang und aus seinen Augen leuchtete, gab ihm Gedanken und Bilder ein, die dem Fassungsvermögen seiner Zuhörer wirklich angepasst waren, und ließ ihn solch köstliche Vergleiche finden, dass sie sogar einen hl. Franz von Sales in Staunen versetzt hätten. Das sind die Prediger, die das Herz der Gläubigen gewinnen. Wer erfüllt ist von Christus, findet unschwer Mittel und Wege, um auch andere zu Christus zu führen.” [5] Der heilige Pfarrer predigte nicht allein durch seine Worte, er wurde ganz eins mit seiner Verkündigung: „Als dann gegen Ende seines Lebens die geschwächte Stimme nicht mehr alle Zuhörer zu erreichen vermochte, da waren es sein flammender Blick, seine Tränen, seine Seufzer der Gottesliebe und sein schmerzvoller Ausdruck beim bloßen Gedanken an die Sünde, die auf die Gläubigen unter der Kanzel tiefen Eindruck machten.” [6]
Anlässlich des einhundertsten Todestages von Johannes-Maria Vianney zeichnete Mgr. Ancel, Weihbischof von Lyon, vier Wesenszüge der Verkündigung des Heiligen auf:
1. Wenn er predigte, tat er dies immer aus einer dienenden Haltung heraus.
2. Er predigte die Wahrheit stets unverkürzt.
3. Obgleich anspruchsvoll, war er niemals hart.
4. Seine Predigten waren der wahre Spiegel seines eigenen geistlichen Lebens.
Diener des Gotteswortes
Bischof Ancel betonte zunächst die unbedingte Treue des Heiligen in der Verkündung des Gotteswortes. Johannes-Maria hatte eine ausgesprochen hohe Auffassung von der Predigt. Im Bewusstsein, als Diener des Hohepriesters Jesu Christi Zeuge und Verkünder Gottes zu sein, konnte der Heilige mit einer Kraft zu sprechen, die von Gott selbst zu kommen schien: Der Priester Bernard Nodet hielt fest, „das Johannes-Maria, der sonst nicht zu großen Reden fähig war, wenn er von Gott sprach, mit der Kraft von Donnerschlägen zu sprechen schien” [7]. In den ersten Jahren seines Priestertums bereitete Johannes-Maria in mühseliger Arbeit seine Predigten vor: Er bediente sich einer Reihe von Predigtsammlungen und Abschriften von Predigten, aus denen er nach den Bedürfnissen der Gläubigen die Vorträge zusammenstellte. Mit den Jahren, als sich der Zulauf der Menschen nach Ars immer mehr steigerte, nahm die Zeit, die dem Heiligen für die Abfassung seiner Predigten zur Verfügung stand, immer mehr ab, so dass ihm bald als einzige Vorbereitung nur die beständige Hingabe an Gott blieb. Johannes-Maria vertraute auf den Heiligen Geist und wagte es, ausgiebig zu sprechen. Er erwartete von seinen Gläubigen, dass sie mit Aufmerksamkeit und Andacht zuhörten: „Unser Herr, der die Wahrheit selbst ist, schätzt sein Wort nicht geringer als seinen Leib. Ich weiß nicht, ob es schlechter ist, bei der Heiligen Messe unaufmerksam zu sein oder bei der Predigt. Ich sehe keinen Unterschied: Während der Messe verliert man die Verdienste des kostbaren Leidens und Sterbens unseres Herrn, während man bei der Predigt sein Wort, das er selber ist, verliert.” [8]
Prediger der unverkürzten Wahrheit
Die Predigten des heiligen Pfarrers waren schneidend wie das Schwert des Wortes Gottes. Es wäre dem Heiligen nie eingefallen, die großen Glaubenswahrheiten oder die Lehre der Kirche aus einem Subjektivismus oder Menschenfurcht heraus nicht vollständig zu verkünden. Weihbischof Ancel bemerkte: „Der Pfarrer von Ars zögerte nie, die ganze Wahrheit zu sagen, auch dann, wenn dies für seine Zuhörer unbequem war.” [9] Johannes-Maria sagte gerne, dass auch die Sonne sich nicht aus Angst vor den Vögeln der Nacht verstecke. [10]
Anspruchsvoll, doch niemals hart
Wenn der Pfarrer von Ars auch unbequeme Themen ansprach, besonders, wenn es um das ewige Heil, den Himmel, die Hölle und das Fegefeuer, sowie die Notwendigkeit von Buße und Umkehr ging, so war er in seine Predigten doch niemals hart oder gehässig. Er vermied es auch gewissenhaft, jemanden zu verletzen: „Ich war niemals über meine Pfarrkinder erbost”, sagte Johannes-Maria, „ich habe ihnen auch niemals Vorwürfe gemacht.” Die Güte und das Feingefühl des Pfarrers von Ars gegenüber den Seelen, die ihm der Herr anvertraut hat, der selbst „sanft und demütig von Herzen” ist, machte seine Predigten noch wirksamer. Das Geheimnis des außerordentlichen Erfolges der so einfach gehaltenen Ansprachen ist in der inbrünstigen Nächstenliebe zu suchen, die Johannes-Maria beseelte. Er beendete seine Predigten gerne mit den Worten: „Von Gott geliebt sein, mit Gott vereint sein, in der Gegenwart Gottes leben, für Gott leben – oh wunderbares Leben, oh wunderbarer Tod!” [11]
Durch sein Leben Zeuge der Wahrheit
Der hl. Pfarrer von Ars gehörte nicht zu den Priestern, die „Wasser predigen und Wein trinken”. Das, was er seinen Gläubigen predigte, wurde von seinem geistlichen Leben genährt und war der getreue Spiegel seines Alltags. Johannes-Maria gab seinen Seelen ein beredtes Zeugnis von dem, was er predigte, weil er täglich das lebte, was er von der Kanzel verkündete. Seine Gottesliebe war die sprudelnde Quelle seiner kraftvollen Worte, die immer auf die Bekehrung der Seelen gerichtet waren. Bereits als Johannes-Maria noch Vikar in Ecully war, kamen die Leute in Scharen, wenn er mit der Predigen an der Reihe war, obschon er noch keine große Erfahrung auf diesem Gebiet hatte. Die Leute täuschten sich nicht, wenn sie schon damals sagten: „Durch ihn ist es wirklich Gott, der zu uns spricht.” [12]
150 Jahre sind vergangen, seitdem der Pfarrer von Ars seine Seele Gott zurückgegeben hat. Dennoch schallt das Echo seiner Predigten bis in unsere Zeit hinein, und ist der Grund für viele Bekehrungen, besonders von Priestern. Bitten wir Gott in diesem Jubiläumsjahr, um die Gnade heiligmäßiger Priester, die in unseren Seelen durch das Beispiel ihres Lebens und ihr kraftvolles Wort die lebendige Flamme einer glühenden Gottesliebe entzünden.
P. Vincent Ribeton FSSP
Distriktsobere von Frankreich
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[1] RAVIER, André: Le Curé d’Ars, Parole et Silence, 1999, S. 56
[2] In seiner Enzyklika Acerbo nimis erinnerte der heilige PAPST PIUS X. den Klerus an die Pflicht der religiösen Unterweisung der Menschen: „Mit Nachdruck sei auf diesen wesentlichen Punkt verwiesen: Kein Priester hat eine wichtigere Verpflichtung oder ist durch eine gewichtigere Aufgabe gebunden.”
[3] Kardinal Claudio HUMMES, Präfekt der Kleruskongregation in seiner Predigt bei der Messe anlässlich des 150. Todestages des Heiligen Johannes-Maria Vianney am 4. August 2009 in Ars.
[4] PAPST JOHANNES XXIII.: Enzyklika Sacedotii nostri primordia vom 1. August 1959 anlässlich des 100. Todestages des Heiligen Johannes-Maria Vianney, Nr. 76 ff.
[5] PAPST PIUS XII.: Ansprache Ci torna sempre an die Pfarrherren und Fastenprediger der Stadt Rom vom 16. März 1946.
[6] PAPST JOHANNES XXIII.: Enzyklika Sacedotii nostri primordia vom 1. August 1959 anlässlich des 100. Todestages des Heiligen Johannes-Maria Vianney, Nr. 80.
[7] NODET, Bernard: Le Curé d’Ars, sa pensée, son cœur, Le Cerf, 2006. Der Priester Bernard Nodet (1911-1990), Geistlicher der Diözese Belley-Ars, publizierte dieses Werk 1956 nach langen Recherchen in Ars. Es gehört zu den Standardwerken über das Leben und Denken des Heiligen.
[8] NODET: a.a.O., S. 126
[9] Mgr. ANCEL: La spiritualité pastorale du Curé d’Ars
[10] NODET: a.a.O., S. 128
[11] FOURREY, René: Ce que prêchait le Curé d’Ars
[12] Mgr. ANCEL: a.a.O.